22 Kirmes

7.10	Guckheimer Kirmes

Ein Höhepunkt im Jahresablauf unseres Dorfes war und ist zweifelsohne die Kirmes am ersten Sonntag im September. Da Guckheim lange Zeit keine eigene Kirche hatte, feierten wir unsere Kirchweih mit Girkenroth, Weltersburg und Mähren am Sonntag nach der Salzer Kirmes.

Seit einiger Zeit werden die Kirmestage eröffnet mit der Disco am Freitag. Samstags wird der Kirmesbaum aufgestellt, abends ist eine Tanzveranstaltung. Sonntags spielt eine Blaskapelle zum Tanz auf, am Montag fängt der Tag mit einem Frühschoppen an und endet mit einem weiteren Tanzabend. So ist uns der Ablauf geläufig, aber so ist es noch nicht lange.

Seit ein paar Jahren feiern wir die sogenannte Zeltkirmes. Ein großes Festzelt wird auf unserem »Kirmesplatz« aufgestellt. Dort stehen auch die Reitschul, also das Karussell, die Los- und die Schießbude und die sonstigen Kirmesvergnügungen.

Kirmessamstag 1924: Alois Lixenfeld ging das erste Mal auf die Kirmes! In der Woche vor der Kirmes hatte er ein Nachbar Mädchen gefragt, ob sie mit ihm Kirmes feiern wollte. Natürlich sagte sie ja. Er ging schon zur Arbeit und hatte sich von dem bisschen Geld, das er erübrigen konnte, sein Kirmesgeld gespart. Heute, am Samstag, wurden am späten Nachmittag bei Dillmanns und bei Wellems die Majbem (die Kirmesbäume) aufgestellt. Die Wirtsleute hatten die benötigten Stämme hinterm Haus gelagert, es musste nur noch ein kleiner Fichtenstamm aus dem Wald geholt und mit Rosenpapier geschmückt werden, der dann oben an der Spitze befestigt wurde.
Am nächsten Morgen wurde der gute Kirmesanzug aus dem Schrank geholt. Dann ging es nach Weltersburg zur Kapelle. Die Girkenröther, Weltersburger und Guckheimer feierten dort dann gemeinsam den Kirmesfestgottesdienst. Danach ging es kurz in den Saal in Weltersburg.

Jetzt formierten sich die Guckheimer zum Kirmeszug: die beiden Kapellen, die in Dillmanns und in Wellems zum Tanz aufspielten, die Kirmesbouwe mit ihren Kirmesmenscher, dann das übrige Kirmesvolk. Man ging singend und frohgelaunt durch den Erleborn, also an der Erkaut (Tonkaut) vorbei nach Guckheim. Dort wartete schon der Secker Johann, Johann Becker) der es kaum abwarten konnte, bis der Kirmeszug kam. In Dillmanns wurde eingekehrt, es wurden drei Tänze aufgespielt, dann ging es nach Wellems, wo sich das gleiche Ritual wiederholte. Danach ging man erst einmal nach Hause, wo die Mutter mit dem Kirmesessen wartete.

Die Reitschul, das Karussell, eine Los-, eine Schieß- und eine Kaufbude standen auf dem Sejplatz. Dort traf sich nachmittags die Dorf Bevölkerung, aber sobald die Musik zum Tanz aufspielte, waren die jungen Leute wieder in den Sälen, um zu tanzen. Eintritt musste man nicht bezahlen, aber die jungen Männer, die tanzen wollten, mussten dafür zahlen. Die Musiker verkauften die Danzbennscha, Tanzbändchen, die man am Revers befestigen konnte. Das kostete damals 2 Mark, kaufte man es für Sonntag und Montag 2,50 Mark. Dafür konnte man dann tanzen, sooft man wollte. Hatte man kein Tanzbändchen, musste man während des Halbtanzes, also in der Pause zwischen zwei Tanzen, einen Groschen zahlen wohl gemerkt, nur die Männer mussten zahlen. Das Geld erhielten die Musiker, es war ihr Lohn. Die jungen Mädchen standen in großen Gruppen im Saal und warteten, bis sie zum Tanzen aufgefordert wurden. Tische und Bänke wurden damals nicht aufgestellt.

In einem separaten Raum war die Weinstube. Dort standen Tische und Stühle, und die meist älteren Gaste kauften für ein paar Mark eine Flasche Wein, die dann geruhsam getrunken wurde. Dort konnte man ganz gemütlich sitzen und hörte entfernt und leise die Musik spielen.

Am Samstag, wenn der Majbam stand, wurde noch der Vierdanz ausgelost. Ein oder zwei junge Männer durften mit ihrem Kirmesmädchen den ersten Tanz, den Vortanz, ausführen. Außerdem bildeten die Tänzer in unregelmäßigen Abständen einen Kreis und klatschten im Takt, während der Vierdänzer, den man auch an den bunten Bändern am Kirmeshut erkannte, ganz stolz seine Künste zeigte. Den Vortanz zu haben, war eine Ehre, die aber auch ganz schön ins Geld ging. Vom Vortänzer wurde erwartet, dass er der Musik (also der Kapelle) auch mal einen Stiewel (ein Stiefelglas mit 1 oder 1,5 Liter Bier) ausgab. Und der Spaß kostet immerhin 80 Pfennige, während ein Glas Bier für 2 Groschen zu haben war. Es wurde im allgemeinen mehr getanzt als getrunken.

Kirmesmontag begann dann wie heute mit einem Frühschoppen, später wurde wieder getanzt. Am Sonntag nach der Kirmes war dann »Nachkirmes«, selbstverständlich wieder mit einer Musik. ( Sicher haben Sie es schon gemerkt: Die Musiker waren die Musik, die Tanzveranstaltung nannte man die Musik und natürlich nannte man auch die Musik, die gespielt wurde, die Musik.) Am Sonntag nach der Nachkirmes gab es noch die »Kaffeekirmes«. Die Wirte bedankten sich mit einem Fässchen Freibier bei ihren Gästen.
Ach ja, die Kirmesgäst: Jedes Jahr kamen die Verwandten und Bekannten aus nah und fern und ließen sich an der Kirmes bewirten. Manchmal kamen sie schon zum Mittagessen, aber spätestens zum Kaffee erschienen sie dann mit hungrigen Mägen, und es musste manch 50 Roure Quetschekuche (großes Backblech) gebacken werden. Aber es war ja eine der wenigen Gelegenheiten, an denen man sich mal die Zeit für einen Besuch nahm und außerdem war ja bei denen auch mal Kirmes.
Kirmessamstag 1960: Gisela Lixenfeld ging das erste Mal auf die Kirmes! 
Einige der alten Traditionen aus der Jugendzeit ihres Vaters waren noch erhalten, der Kirmesbaum wurde am Samstag gestellt, die erste Musik wurde am Sonntagnachmittag gehalten, aber es gab keine Kirmesburschen mehr, die sich ein Kirmesmädchen suchten. Eine der entscheidendsten Änderungen war die Abschaffung der Tanzbändchen. Männer und Frauen mussten, wenn sie in den Saal wollten, Eintritt bezahlen. Die meisten Mädchen hatten ja jetzt auch ein Einkommen, da auch sie zur Arbeit gingen. Auch die Tradition des Vortanzes starb so langsam aus.

Der Kirmeszug ging jetzt am Kirmesmontag (übrigens heißt es auf Platt: uu Kirmesmondoch, also an Kirmesmontag) durchs Dorf.
Anfang der fünfziger Jahre wurde noch von Feins Alois die Fahne des Junggesellenvereins vornweg getragen. Man trank Wein aus einem Eimer mit Hilfe eines Suppenlöffels. Die Nachkirmes gab es auch noch, aber sie wurde schon nicht mehr intensiv gefeiert.
Als ich 1966 aus der Schule kam und das erste Mal auf die Kirmes durfte, gab es schon keinen Kirmeszug mehr. Die erste Tanzveranstaltung war jetzt am Samstagabend und wenn ein Paar mal alleine auf der Tanzflache war, sagte man verächtlich: »Ma mant, die hiin de Vierdanz«.
Kirmes heute: Es gibt wieder eine Kirmesjugend, man erkennt sie an einheitlichen T-Shirts und an ihrer guten Laune. Wie erwähnt, beginnt die Kirmes schon freitags, dafür gibt es aber auch keine Nachkirmes mehr.
Manches hat sich geändert, aber eines ist geblieben: wir Guckheimer feiern gern und ausgiebig unsere Kirmes und ziehen damit auch heute noch Verwandte und Bekannte aus nah und fern an und manchmal nennen wir diese dann sogar Kirmesgäst.