In diesem Teil der Chronik wollen wir die geselligen Seiten von Guckheim kennenlernen. Geselligkeit wurde und wird in Guckheim gerne gepflegt.
Wie wir schon gehört haben, gibt es seit 1812 das Gasthaus »Wellems«, das den uns bekannten Beginn der Guckheimer Gastlichkeit darstellt. Vor etwa 100Jahren machte der »alte Spielmann« in seiner Gaststube Musik und begeisterte damit die Guckheimer Jugendlichen (siehe Kapitel 4.5 »Wellerns«). Zu dieser Zeit gab es auch schon Veranstaltungen in »Dillmanns«. Nicht immer ging es in alter Zeit friedlich dabei zu. Wie wir ja schon in dem Lied »Oh, du schöner Westerwald« singen, gab es nach dem Tanzen öfters »Keilerei« Am Fastnachtssonntag 1889 endete ein solcher Streit sogar tödlich. Ein Guckheimer erstach einen jungen Mann aus einem Nachbarort und musste mehrere Jahre im Zuchthaus seine Strafe verbüßen. Er kehrte wieder nach Guckheim zurück, lebte sehr zurückgezogen, bis zu seinem Tode, in seinem Elternhaus.
Zum Glück verliefen die meisten Veranstaltungen, die man früher einfach »Musik« nannte, aber unblutiger. In den zwanziger Jahren gab es außer der Kirmes noch eine »Musik« im Winter und mehrere Veranstaltungen der verschiedenen Vereine, die ebenfalls in den Wirtshäusern bzw. den dazugehörenden Sälen, abgehalten wurden. So veranstaltete der Radfahrverein »Laetitia« ein Radfahrerfest, von dem noch einige Bilder erhalten geblieben sind.
Heute wie früher kommen die Menschen gern nach Guckheim, um zu feiern. Denn feiern, das können wir Guckheimer. Unsere Kirmes wird gern besucht, an Fastnacht kommen die Leute in Scharen zum Zug und zu den Veranstaltungen. Nicht zu vergessen sind auch die Sportveranstaltungen der verschiedenen Vereine, die immer viele Menschen begeistern. Wir wollen uns in diesem Kapitel mit dem dörflichen Leben im allgemeinen, den Festen und Veranstaltungen im Besonderen und dem Essen und Trinken widmen. Damit der eine oder andere auch noch einen »unverständlichen Ausdruck« erlernt, gibt es auch noch eine Rubrik »Guckheimer Umgangssprache«.
7.2 Das dörfliche Leben von Karl Jung
Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte im gesamten Westerwald große Not. Infolge von Wettereinflüssen waren in mehreren Jahren Missernten aufgetreten die Bevölkerung stand dieser Armut hilflos gegenüber. Landwirte waren oft derart verschuldet, dass sie ihre Ländereien verkaufen mussten und waren dadurch noch mehr der Armut ausgesetzt. Es war auch die Zeit von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, geboren in Hamm/Sieg, also ein Westerwälder, der der überschuldeten Bevölkerung durch die Gründung von Genossenschaften helfen wollte, um Darlehen gegen mäßige Zinsen zu gewähren und die ratenweise Rückzahlung in erträglichen Höhen zu halten. In vielen Ortschaften wurden »Raiffeisenkassen« gegründet, so auch im benachbarten Salz, wo Guckheimer Bürger ebenfalls geholfen werden konnte.
Auch schon vorher und später noch suchten einige Guckheimer ihr Heil in der neuen Welt; sie wanderten nach Amerika aus. So zog es z.B. Georg Löwenthal am 31.8.1853 von Guckheim nach Texas. Der zweite Sohn des Lehrers Wilhelm Sehr suchte ebenfalls in dieser Zeit sein Glück in Amerika. Wilhelm Jung aus »Wellemsjusephs Haus«, geboren am 3.1.1860, hat im Jahre 1884 die Fahrt über den Ozean angetreten und in Chicago Wohnsitz genommen. Es waren sicher noch mehrere Einwohner, die ihre Heimat in Guckheim verlassen und versucht haben, in der neuen Welt ihr Glück zu machen. Sie hatten aber ihre alte Heimat nicht vergessen und Erinnerungen an die Nachkommen weitergegeben, denn, als nach dem 2. Weltkrieg die Not in Deutschland groß war und in Amerika zu Spendenaktionen aufgerufen wurde, bekamen auch Guckheimer sogenannte »Care-Pakete« von Verwandten, von denen sie kaum noch den Namen kannten.
Einige versuchten auf einem anderen Wege, die Not zu mildern. Es waren die Landgänger, die auch ab Mitte des 19. Jahrhunderts sich damit zusätzliche Einnahmen zu verschaffen suchten. Sie gingen und fuhren später mit der Eisenbahn »in das Land«, vorwiegend nach Holland, Belgien, Sachsen, Hamburg, Berlin, Pommern und Ostpreußen, um dort ihre Waren anzubieten. Als Erzeugnisse führten sie mit: Steingutwaren, Regen- und Sonnenschirme, Putzpulver, Wollwaren, Holzwaren, Kramwaren, Wachstuche u.a. Im Frühjahr zogen sie übers Land, um im Spätherbst wieder nach Hause zurückzukehren. Reich sind sie dabei nicht geworden, aber gelohnt wird es sich schon haben, denn das »Landgängerleben« hat sich bis in die 1930er erhalten.
Eine andere Art des »Landgängertums« war auch der Samen Handel der Eheleute Johann und Anna Mille, von denen der nachfolgende Bericht in der Westerwälder Zeitung vom 20.02.1996 erzählt (Verfasser: Karl Jung).
7.2.1 Da Guckemer Some-Maa aufgeschrieben von Karl Jung
In den Gesprächen mit Westerwalder Gemeindebürgern wurde früher oft die Frage nach dem »Guckemer Some-Maa« und der »Guckemer Some-Fraa« gestellt. Ja, der Guckemer Some-Maa und seine Guckemer Some-Fraa, die Eheleute Johann und Anna Mille, waren durch den Samenhandel in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in den Familien der Westerwaldgemeinden gut bekannt und gern gesehene Leute. Der Samenhandel führte die Eheleute Mille alljährlich in die Dörfer des unteren und oberen Westerwaldes, um die Bestellungen entgegenzunehmen, und die Auslieferungen zu besorgen. Unter schweren Strapazen zogen sie in den Wintermonaten und im zeitigen Frühjahr mit einem Hand Wägelchen oder mit vollbepackten Rucksäcken von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus, um ihre Kundschaft zu beliefern. Oft waren die Eheleute, wenn sie die Eisenbahn benutzen konnten, so zeitig an den Zielorten angelangt, das sie in Meudt, Büdingen-Erbach oder in Höhn schon in aller Frühe dort in der Kirche an den Werktags Gottesdiensten teilnehmen konnten.
Johann Mille hat in den früheren Jahren überwiegend in Westfalen als Maurer gearbeitet. Im Jahre 1892 schloss er mit Anna, geb. Heidrich, den Ehebund. Seine Ehefrau hatte auch schon zeitig den Ernst des Lebens erfahren. In jungen Jahren musste sie mit ihrer Großmutter nach Holland hausieren, wie man damals sagte, »ins Land« gehen. Während Johann Mille durch den Mauerer Beruf von zu Hause abwesend war, musste die Ehefrau mit den ältesten Kindern die kleine Landwirtschaft besorgen. Mit 40 Jahren war Johann Mille aus gesundheitlichen Gründen gezwungen, seinen Maurerberuf aufzugeben. Um die große Familie ernähren zu können, eröffneten die Eheleute 1905 den Samenhandel Durch diese Tätigkeit wurden sie im Westerwald unter dem Namen der »Guckemer Some-Maa« und die »Guckemer Some Fraa« bekannt.
7.2 Das dörfliche Leben ...
Mit den Landgängen verwandt war auch das Geschäft mit den Musikanten. Diese hatten sich für ihre Arbeit in besonderen Maße Holland und England auserkoren. Es ist uns bekannt, dass der Gastwirt und Musikant Joseph Jung (1827 - 1874), genannt der »Spielmann« aus » Wellems«-Haus, bei einer Musikkapelle mitgespielt und am englischen Königshof musiziert hat. Beim Abriss des alten Saales der Gaststatte Jung fand man auf dem dortigen Speicher noch einige Musikinstrumente aus jener Zeit (siehe auch nachfolgenden Bericht darüber in der Westerwälder Zeitung vom 20.08.1996, geschrieben von Karl Jung).
7.2.2 Der alte Spielmann aufgeschrieben von Karl Jung
In »Wellems-Haus«, das um 1770 von Wilhelm Jung erbaut wurde und daher den Hausnamen »Wellems« bekam, wurde im Jahre 1812 die Gastwirtschaft eröffnet und von den nachfolgenden Generationen bis heute weitergeführt. Im vorigen Jahrhundert, in den 60er und 70er Jahren, betrieb Joseph Jung mit seiner Ehefrau und seinen vier Töchtern die Gastwirtschaft. Joseph Jung betätigte sich nebenberuflich als Musiker und war unter dem Namen »der alte Spielmann« in nah und fern bekannt. Er beherrschte mehrere Instrumente und war in seiner Art sicher ein Genie.
In jungen Jahren war er mit einigen Musikanten durch die Lande gezogen. Der Weg führte ihn damals bis nach England. Dort hatte er sogar am englischen Königshof musiziert. Das war für einen Dorfmusikanten schon ein viel beachtetes Erlebnis. Dieses und andere Vorkommnisse während seiner Wanderjahre musste er später als Gastwirt immer wieder seinen interessierten und staunenden Gästen erzählen.
Zur Zeit des alten Spielmannes war in »Wellems« oft Jubel und Tanz. Sicher haben zu dieser Zeit auch die vier heiratsfähigen Töchter des Hauses auf die Dorfburschen eine gewisse Anziehungskraft ausgeübt. Die Tanzveranstaltungen fanden damals, als noch kein Saal gebaut war, in der Gaststube statt. Wenn der alte Spielmann mit seiner Musikkapelle zum Tanz aufspielte, war bald der kleine Raum dicht gefüllt.
Die Decke der Wirtsstube war damals in der Mitte des Raumes durch einen kräftigen Holzpfosten abgestützt. Beim Tanz um den Stützpfeiler mussten die Langen Kerls, von denen der »Diwe Derrer« am größten geraten war, jeweils unter dem tiefliegenden Decken Träger, um nicht anzustoßen, die Köpfe recht tief einziehen. Aber trotz dieser Hindernisse soll es bei den Tanzveranstaltungen sehr lustig zugegangen sein. »Der alte Spielmann«, der war ein Westerwälder Original.
7.2 Das dörfliche Leben ...
Da in Guckheim wenig Industrie vorhanden war, gingen auch einige Einwohner als Maurer nach Westfalen und ins Siegerland. Sie zogen im zeitigen Frühjahr in die Fremde und kamen im Spätherbst wieder in die Heimat zurück.
Eine ähnliche Entwicklung gab es auch nach dem 2. Weltkrieg. Nach der Wahrungsreform 1948 arbeiteten viele Guckheimer als Maurer oder Hilfsarbeiter in Köln, als nach der Beseitigung der Trümmerfelder mit dem Wiederaufbau begonnen wurde. Diese Guckheimer werden als sehr fleißig und gewissenhaft beschrieben. Sie wohnten und lebten während der Woche in »Arbeitswagen« und sparten dabei Geld, das sie dann in Guckheim anlegten.
Die Nachbarschaftshilfe und der Gemeinsinn wurden bei allen Anlassen praktiziert und gepflegt. Beim Bauen wurden Spanndienste geleistet. Oft half einer dem anderen in der Erntezeit. Seim Holen von Braunkohlen in Hohn fuhr man mit mehreren zusammen, um zu helfen und bei der Überwindung von Hohen »vorzuspannen«. Zum Birnenschalen, zum Krautkochen und zu sonstigen Ereignissen versammelte sich die Nachbarschaft. In Freud und Leid standen sich die Menschen nahe. In den Sommermonaten versammelten sich die Dorfbewohner oft abends nach getaner Arbeit auf den Hofbanken zu einem Plauderstündchen (fast jeder hatte eine Bank vor dem Haus stehen). Hierbei wurden die Dorfnachrichten ausgetauscht, alte Anekdoten erzählt, Erlebnisse und Geschichten (ob immer wahrheitsgetreu?) vermittelt. Die Dorfjugend war meist in einem Trupp versammelt, um sich bei Spiel, Gesang, Tanz und Gaudi zu erfreuen. Die Geselligkeit wurde also sowohl von Jung als auch von Alt gepflegt.
7.2.3 Off Ronde Hof Bank Aufgeschrieben van Karl Jung
Die drei angehenden 90 jährigen, Ronde Dade, Wellems-Juseps-Weißer und die Hölzjes Bas, saßen an den warmen Sommertagen oft auf der Hof Bank und erzählten sich ihre Erlebnisse aus vergangener Zeit. Da alle drei mehr oder weniger schwerhörig waren, wurde die Unterhaltung in recht lautem Ton geführt. Die Nachbarn und die in etlicher Entfernung vorbeigehenden Straßenpassanten, konnten daher, gewollt oder ungewollt, die interessanten Geschichten gut mitverfolgen. Für diese war das Erlauschte immer ein wahrer Genuss.
Wieder einmal berichtete Wellems-Juseps-Weißer mit lauter Stimme, wie er als junger Bursche in Steinefrenz in der Nacht vor der dortigen Kirmes beim Absagen des Kirmesbaumes beteiligt war. Er schilderte das Geschehen in jener Nacht voller Stolz in allen Einzelheiten und wurde dabei von der Hölzjes Bas einige Male mit der Bemerkung unterbrochen: »Jusep, dau worst aach net da Beste!« Als Jusep nach Ende seines Berichtes eine Pause einlegte, fragte Ronde Dade, der sich bis dahin nicht geäußert hatte und, aufgrund seiner Schwerhörigkeit, kein Wort des Erzählers verstanden hatte: »Jusep, wot hast dau a.we verzallt, wot hast dau gesot?« - »Jo, wot host dau gesot, wot host dau verzallt«, erwiderte der Jusep in scharfem Ton, sprang auf und fuhr den Ronde Dade an: »Dou dei Uhrn off! Verzehlt ma hej und verzehlt, un de sift ...« - »Wot host dau gesot?« fiel ihm noch einmal der Ronde Dade ins Wort. »Etze gien ich grod heiml« schnaubte der wütende Wellems Juseps-Weiß. Die Hölzjes Bas wollte noch schlichten, aber der Jusep stieß wütend den Krückstock auf und stapfte in Richtung Wellems-Juseps-Haus davon. Die Dreier Versammlung war, wie schon des Öfteren, wieder einmal geplatzt.
Off Ronde Hof Bank Aufgeschrieben van Karl Jung
Die drei angehenden 90 jährigen, Ronde Dade, Wellems-Juseps-Weißer und die Hölzjes Bas, saßen an den warmen Sommertagen oft auf der Hof Bank und erzählten sich ihre Erlebnisse aus vergangener Zeit. . Da alle drei mehr oder weniger schwerhörig waren, wurde die Unterhaltung recht lautem Ton geführt. Die Nachbarn und die in etlicher Entfernung vorbeige-henden Straßenpassanten, konnten daher, gewollt oder ungewollt, die interes-santen Geschichten gut mitverfolgen. Für diese war das Erlauschte immer ein wahrer Genuss. Wieder einmal berichtete Wellems-Juseps-Weißer mit lauter Stimme, wie er als junger Bursche in Steinefrenz in der Nacht vor der dortigen Kirmes beim Absagen des Kirmesbaumes beteiligt war. Er schilderte das Geschehen in jener Nacht voller Stolz in allen Einzelheiten und wurde dabei von der Hölzjes Bas einige Male mit der Bemerkung unterbrochen: »Jusep, dau worst aach net da Beste!« Als Jusep nach Ende seines Berichtes eine Pause einlegte, fragte Ronde Dade, der sich bis dahin nicht geäußert hatte und, aufgrund seiner Schwerhörigkeit, kein Wort des Erzählers verstanden hatte: »Jusep, wot hast dau a.we verzallt, wot hast dau gesot?« - »Jo, wot host dau gesot, wot host dau verzallt«, erwiderte der Jusep in scharfem Ton, sprang auf und fuhr den Ronde Dade an: »Dou dei Uhrn off! Verzehlt ma hej und verzehlt, un de sift ...« - »Wot host dau gesot?« fiel ihm noch einmal der Ronde Dade ins Wort. »Etze gien ich grod heiml« schnaubte der wütende Wellems Juseps-Weiß. Die Hölzjes Bas wollte noch schlichten, aber der Jusep stieß wütend den Krückstock auf und stapfte in Richtung Wellems-Juseps-Haus davon. Die Dreier Versammlung war, wie schon des Öfteren, wieder einmal geplatzt.
7.2 Das dörfliche Leben ...
Die Kirmes (1. Sonntag im September) wurde ganz groß gefeiert. Alle Verwandten aus nah und fern waren zu Gast; auswärts lebende und arbeitende Dorfbewohner kehrten an diesem Tag in die Heimat zurück. Die Kirmesjugend hatte schon einige Tage vorher den »Vortanz« ausgelost. Für einen Jungen oder ein Mädchen war es eine Ehre, den ersten Tanz an der Kirmes ausführen zu dürfen. In der Kirmeswoche herrschte in den Backhäusern reger Betrieb. Große Pfannen mit Zwetschen-, Krümmel- und Kranzkuchen wurden gebacken. Am Samstagabend wurden unter großer Beteiligung der Jugend die Kirmesbäume (Maibäume) bei den Wirtschaften und beim Bürgermeister aufgestellt. Am Sonntagvormittag wurde die Kirmesgesellschaft in Salz von der Musikkapelle nach dem Gottesdienst abgeholt. Begleitet von schneidiger Marschmusik marschierte die fröhliche Gesellschaft nach Guckheim in die beiden Gastwirtschaften. Vor Tanzbeginn am Nachmittag zog dann die Kirmesjugend nochmals mit Musik und Gesang in einem Festzug durch das Dorf. Anschließend wurde dann in den Gastwirtschaften zum Tanz aufgespielt. Die Kinder erfreuten sich an diesen Tagen auf dem »Sejplatz« mit Schiffschaukel und Karussellfahren.
In den 20er Jahren waren in unserem Dorf noch mehrere Häuser mit Stroh gedeckt. Von Zeit zu Zeit kam der »Decker Matz« (Mathias Nattermann) aus Salz und hat die schadhaften Dächer ausgebessert oder neu eingedeckt. Der »Decker Matz« war in den Dörfern rund um Salz der letzte Stroh Decker, der sein Handwerk sehr gut verstand. Die Dorfstraßen waren in der damals üblichen Weise mit Steinschotter ausgebaut und mit Sand- und Lehmboden vermischt abgedeckt. Bei Trockenheit verursachten die Straßen bei dem damaligen Autoverkehr dichte Staubwolken. Bei Nässe verwandelten sich die Straßen in Schlammwege. Jeden Samstag musste das »Gasseoart« gekehrt und bei Regenwetter der »Batsch« von der Straße gekratzt werden. Teilweise waren entlang der Dorfstraßen Gräben ausgehoben. Die in den Gräben stehende Brühe (Abwasser mit Jauche vermischt) verursachte im Sommer einen nicht gerade angenehmen Geruch. Modern klingende Straßennamen wie heute kannte man noch nicht. Es galten die Bezeichnungen »Off da Gass«, »In der Eck«, »Off em Sejplatz« usw. Der Name »Sejplatz« ist wie folgt entstanden. In früheren Jahren war es üblich, dass täglich die Schweine für kurze Zeit aus den Ställen getrieben und gehütet wurden. Bei der damaligen Fütterungsart war der tägliche »Spaziergang« für die Gesunderhaltung der Tiere dringend erforderlich. Die Dorfbewohner haben ihre Schweine auf diesen Platz getrieben und gehütet. Daher der Name »Sejplatz«. Fast alle Familien waren haupt- oder nebenberuflich in der Landwirtschaft tätig. Bis auf wenige Ausnahmen waren die Familien Viehbesitzer. Der aus den Ställen anfallende Mist war meist an der zur Straße zugewandten Hofseite gelagert. Je nach Ausmaß des Misthaufens konnte man auf die Größe des landwirtschaftlichen Betriebes schließen. So mancher Freier hat sich sicher vor der Hochzeit heimlich den Misthaufen im Hof der zukünftigen Schwiegereltern angesehen und je nach Größe desselben seinen Entschluss nochmals überdacht. Das Dorf war morgens schon in aller Frühe von allerlei Geräuschen erfüllt. In den Ställen wurde das Vieh gefüttert. Kühe und Kälber brüllten, Schweine grunzten, Hühner gackerten, Hahne krähten abwechselnd, Hunde bellten Kuhfuhrwerke rasselten über die Dorfstraßen, und der Kuhhirte liefs auf seinem Signalhorn eine Melodie erklingen.
7.3 Sitten und Gebrauche von Karl Jung
Die Menschen hatten früher eine starke Bindung zur Kirche. Bei Wind und Wetter sind die Einwohner der umliegenden Dörfer zu Fuß den Weg nach Salz und zurück marschiert. So selbstverständlich wie das Amen in der Kirche, so selbstverständlich war auch für unsere Vorfahren sonn- und feiertags der Gang zur Pfarrkirche nach Salz, um dort am Gottesdienst teilzunehmen. Aufgrund dieser Bindung zur Kirche ist es verständlich, dass viele Sitten und Gebräuche im religiösen Bereich ihren Ursprung haben.
An den Werktagen wurde um 11.00 Uhr mittags die Glocke auf der alten Schule zum »Angelus« (Engel des Herrn) geläutet. Viele Dorfbewohner, ob zu Hause oder hinter dem Pflug, hielten dann bei der Arbeit inne und verharrten im Gebet. Sogar die Kühe vor dem Pflug hatten sich auf das Geläute eingestellt und waren oft nicht mehr bereit, den Pflug noch eine Furche zu ziehen. Abends um 7.00 Uhr ertönte die Abendglocke. Für die Kinder war es nun Zeit, ihre Spiele zu beenden und nach Hause zu gehen. Wehe, wenn der Lehrer dann noch Schüler auf der Straße sah.
Die Palmzweige, die geweihten Kräuter (Wirzwesch) und ein Zweig vom Fronleichnamsaltar wurden zu Hause zum Schutze gegen Gefahr aufbewahrt. Ein kleiner Zweig wurde in der Wohnung an das Kruzifix gesteckt. Bei Gefahr, vornehmlich bei einem schweren Gewitter, wurde ein Zweig in das Feuer des Herdes gelegt. Ebenso wurde bei einem Gewitter oft eine gesegnete Kerze angesteckt. In früheren Jahrhunderten war es üblich, dass bei einem Gewitter die Glocken geläutet wurden (Wetterläuten).
Die Kinder wurden früher von ihren Paten nicht an Weihnachten, sondern am Neujahrstage beschenkt. Ihnen wurde dann vom Pat und der Got »das Neujahr« gebracht. Es war meist ein kleines Geldgeschenk. In früheren Zeiten war es ein Apfel, in dem eine kleine Münze eingedrückt war. Der Pat und die Got nahmen dann an der Kaffeefeier teil. Früher wurden die Namenstage und nicht die Geburtstage gefeiert. Es war mehr ein Gedenktag; als in unserem Sinne verstandener »Feiertag«. Für die Gratulation wurde auch die Bezeichnung »Benne« genannt. »Die Allmame hot Nomensdoch, pleg da poor Blume un da douste se benne.« Was wird wohl die Bezeichnung »benne« (binden) in diesem Zusammenhang bedeutet haben? Ursprünglich war es Sitte, dem Beschenkten ein Geschenk an den Arm zubinden; daher die Bezeichnung »benne«.
Am Dreikönigstag schrieb der Hausvater mit Kreide die Buchstaben C.M.B. und die Jahreszahl an die Haustür. Am Ostermorgen vor Sonnenaufgang wurde aus einem fließenden Wasserlauf das Osterwasser entnommen. Das Schöpfen von Osterwasser war eine heilig stille Handlung. Es durfte dabei nicht gesprochen werden, und das Wasser musste mit einem Eimer oder Behälter dreimal gegen die Strömung geschöpft werden. Für Mensch und Vieh war das Wasser gesund und schützte besonders das Augenlicht. So lange man es auch aufbewahrte, es faulte nie.
An Ostern wurden die Ostereier für kurze Zeit in einen Haufen großer Waldameisen gelegt. Die Ameisen bespritzten die Eier mit der Ameisensäure. Durch die Säure wurde die Farbe sodann teilweise weggeätzt. Auf der Eierschale entstanden so weiße, blitzähnliche Kratzer, die auf den Ostereiern ein buntes Farbmuster verursachten.
In der Fastenzeit und auch im Monat Oktober wurde bei vielen Familien abends der Rosenkranz gebetet. Gleichfalls wurde in den Familien nach dem Mittag- und Abendessen der »Engel des Herrn« gebetet. Vor dem Anschneiden des Brotes machte man mit dem Messer ein Kreuzzeichen darüber.
Wollte ein heiratswilliges Paar in den Ehestand treten, wurde es an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen von der Kanzel in der Kirche aufgeboten. Außerdem erfolgte das Aufgebot des Brautpaares im Aushängekasten der Gemeinde. Bald verbreitete sich im Dorf die Kunde: »Se henge im Kaste!« Von den Schulkameradinnen oder Freundinnen der Braut wurde der Aushängekasten mit einem Kranz und mit Blumen geziert.
Wenn bei einem Paar einige dicke Holzstempel unter den Kasten gestellt wurden, so sollte damit angezeigt werden, dass die Hochzeit früher hätte sein müssen, ehe der leichtgebaute Kasten für einen Teil der Verlobten zu schwer wurde. Am Hochzeitstag wurden die Brautleute vor der kirchlichen Trauung gehemmt, so wie es auch heute noch Brauch ist. Dann ging die ganze Hochzeitsgesellschaft zu Fuß nach Salz in die Kirche. Manchmal bestellte man sich auch die Klosterkutsche von Möllingen oder später dann ein Auto. Trauungen wurden meistens dienstags oder donnerstags gehalten. In der Kirche fand dann eine schlichte Zeremonie vor dem Hochaltar statt. Nach dem Tausch der Ringe ging es wieder zurück nach Guckheim, wo bei Kaffee und Kuchen die Feier Ausklang.
Kinder wurden in den ersten Tagen nach der Geburt getauft. War der Täufling ein Junge, ging der Pat, die Goth und die Hebamme nach Salz zur Taufe. Der Täufling wurde dabei in einem Großen Kissen, im Winter in Decken gewickelt, getragen. Die Eltern nahmen an der Taufe nicht teil. Die Mutter wurde nach ein paar Wochen in Salz in der Kirche vor dem Hochaltar »ausgesegnet«. Dieser Brauch ging auf ganz alte Riten in der Frühzeit der Kirche zurück und sollte anzeigen, das die Frau wieder »rein« war und am öffentlichen Leben teilnehmen konnte.
Im Jahr 1929 wurde in Guckheim ein neuer Friedhof gebaut. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die Toten unseres Dorfes in Salz auf dem Kirchhof beerdigt. Wenn jemand gestorben war, lag er zu Hause »auf dem Schaaf«, das hieß, er war im Wohnzimmer des Sterbehauses aufgebahrt. Die Uhren, soweit im Haus vorhanden, wurden angehalten, die Spiegel verhängt. Die Totenwache wurde abends im Wohnzimmer, in da Sta, bei dem Toten gehalten. Dabei wurde der Rosenkranz, die Litanei und die »fünf Wunden« gebetet. Ander Totenwache, da Durewocht, nahmen aus jeder Familie des Dorf es mindestens eine erwachsene Person teil. Ebenso hielt man es auch, wenn der Tote dann nach Salz überführt wurde. Der Sarg mit dem Verstorbenen wurde auf einen Leiterwagen gestellt. Die »Leitem« und die »Hurten«, die Seitenbretter, wurden abgebaut, der Sarg mit Kränzen geschmückt. Das Fuhrwerk wurde von Pferden gezogen, die den Familien Noll, Kloft (Der Müller) oder Holzbach gehörten. Der nächste männliche Angehörige des Verstorbenen ging als erster hinter dem Sarg und trug das Kreuz, dieses war also der Sohn, Ehemann, Vater etc. Dieser Brauch wird ja auch noch heute so gepflegt. Dann folgten im Trauerzug die männlichen Angehörigen sowie die sonstigen Männer des Dorfes. Danach gingen die Frauen. Ganz zuletzt gingen die nächsten weiblichen Angehörigen des Toten, also die Frau, Schwester, Mutter etc. Die Frauen trugen als Zeichen ihrer Trauer ein weißes Spitzenhäubchen oder zumindest ein weißes Leinentuch. Vor dem Eingang zum Kirchhof in Salz stand ein Gestell, auf das der Sarg aufgebahrt wurde. Der Pfarrer kam dann mit den Messdienern, um den Toten abzuholen und zu beerdigen. Anschließend wurde das erste Sterbeamt gehalten. Später, als der Friedhof in Guckheim genutzt werden konnte, wurden die Toten vor dem Haus aufgebahrt. Man betete, während man auf den Pfarrer wartete, der den Trauerzug dann zum Friedhof anführte. Nach der Beerdigung trafen sich die der Familie Angehörigen Trauergäste wieder in da Sta des Sterbehauses bei Kaffee und Kuchen zum Driesterisch, der trostspendenden Mahlzeit. Einige Tage nach der Beerdigung wurde »das Schaaf« , das Bettstroh und Züch', in der Gemarkung, meist auf einer Feldwegkreuzung, verbrannt. Bei dieser Handlung wurden wieder die »fünf wunden« gebetet. Die Angehörigen eines Verstorbenen, vornehmlich die Frauen, trugen ein ganzes Jahr schwarze Trauerkleidung. In früheren Jahrhunderten war die Trauerzeit sehr streng geregelt und den Angehörigen zur Pflicht gemacht. Der Ehemann trauerte um seine Frau ein halbes Jahr, die Witwe um ihren Mann ein ganzes Jahr. Bei Eltern betrug die Trauerzeit für ein verstorbenes Kind, das älter als zwölf Jahre war, drei Monate. Kinder trauerten um die verstorbenen Eltern sechs Monate, um Stiefeltern einen Monat. Während der Trauerzeit sollten keine Verlobungen oder Hochzeiten stattfinden, keine Tanzbelustigung aufgesucht werden.
Am Feste »Maria Lichtmeß« wurde abends eine geweihte Kerze angezündet und dabei der Rosenkranz gebetet. Nach dem Gebet machte der Hausvater mit der brennenden Kerze ein Kreuzzeichen an die Wohnstubendecke oder Tür. Anschließend brannte er jedem der Anwesenden mit der Kerze einige Haare am Kopf ab.
Am »Heiligen Abend« wurde ein Bunde! Heu in den Hof gelegt. Nach der Bescherung brachte man das Heu dem Vieh im Stall.
In der Silvesternacht wurde in den Gastwirtschaften um 12.00 Uhr von allen Anwesenden »Großer Gott wir loben Dich« gesungen.
Nach der Obsternte im Herbst versammelte sich die Nachbarschaft abends reihum in den Häusern zum Birnenschalen und Quetschekernen. Hierbei ging es meist recht lustig zu. Nach getaner Arbeit wurden die Schalen und Kerne dann spät abends von der Dorfjugend in den Höf en im Dorf zum Jux und zur Freude (?) der Anwohner verstreut. An den folgenden Tagen wurde dann in großen Kesseln »Kraut« gekocht. Je nach Bedarf wurde die Zwetschen- und Birnenmasse noch durch Rübensaft, Kürbis und sonstige Früchte ergänzt und gelangt. Mit Hilfe der Gemeindekelter (Guckemer Backes) wurden diese Früchte ausgepresst. Der gewonnene Saft wurde sodann mit der Obstmasse stundenlang gekocht, bis die Masse gar und streichfähig war. »Kraut« wurde bei allen Familien als beliebter Brotaufstrich gekocht.
7.4 Das Schlachtfest von Karl Jung und Werner Koch
Ein willkommenes Ereignis für die Familien im Winter war die Hausschlachtung. Für die Familien war es bei dem oft kärglichen Einkommen beruhigend, ein Schwein in der »Butt« zu haben. Der Fleischvorrat musste oft ein ganzes Jahr ausreichen. Bei den ärmlichen Verhältnissen konnten jedoch nicht alle Familien ihren Küchenzettel durch eine Hausschlachtung aufbessern. Wie verlief nun im allgemeinen eine »Hausschlachtung«? Ein etwa 3 Zentner schweres Schwein war im Winter »schlachtreif«. Der »Metzger Wilhelm« wurde bestellt. Im Haus selbst herrschte vor der Schlachtung große Emsigkeit. Alle Gerätschaften wurden gereinigt und zurechtgelegt. Ferner mussten die Zutaten bei »Kätches« gekauft werden. Für den »Wilhelm« durfte auf keinen Fall die Schnapsflasche fehlen. Die »Sau« fütterte man am Tage vorher nicht mehr, damit Magen und Därme besser gereinigt werden konnten. Wenn der »Metzger Wilhelm« kam, »bewaffnet« mit seinem Handwerkszeug, wurde der Wasserkessel geheizt. Das Wasser benötigte man später für die »Borstenentfernung«. Der Sau wurde eine Schlinge an eines der Hinterbeine gelegt und dann unter Grunzen und Schnaufen zur »Richtstätte« geführt. Dies war ein Pfahl, an der die Sau angebunden wurde, um dann mittels einer Axt (später durch ein Bolzenschussgerät) vorn Metzger zu Boden geschlagen zu werden. Ganz schnell stieß er mit einem großen Messer in den Hals der Sau. Blut Floß wie eine Fontäne in die bereitgestellte Schüssel. Damit das Blut nicht gerinnt, musste eine Frau das Blut mit einem Holzlöffel schlagen, bis es abgekühlt war. Nach dem Ausbluten (Bein hoch und wieder nach unten gedrückt), wurde die Sau in die Mulde gewälzt und mit dem vorbereiteten heißen Wasser übergossen. Dann konnten mit einer »Schelle« die Borsten entfernt werden. Mit dem Haken der Schelle wurden auch die Klauen abgezogen. Kräftige Männer halfen dann, die Sau auf einer Leiter festzubinden und die Leiter gegen eine Wand (Scheunentor) aufzurichten. Das Schwein wurde vom »Wilhelm« (ein Schnaps dazwischen) aufgeschnitten und ausgenommenen. Die Innereien legte man in besondere Schüsseln, um sie dann sorgfältig zu reinigen. Der Kopf wurde abgeschnitten; der Torso blieb bis zum Abend zum Abkühlen auf der Leiter belassen. Mittlerweile war auch der Fleischbeschauer gekommen; durch seine Stempelabdrücke gab er die Sau zum Verzehr frei. Nachdem auch der »Wilhelm« die Därme sorgfältig gesäubert hatte, ging er zu einer anderen Familie, um dort die »Wurst« zu machen. Am nächsten Tag wurde dann alles »verwurstet«. Nach dem Würzen, mehrmals von allen Anwesenden geprüft, wurde das »Gebräu« nach kräftigen ·Durchwalken mit dem »Hörnchen« in die Därme gedrückt und zum Kochen aufgesetzt. Die sogenannte »Metzelsuppe« schmeckte sehr gut, besonders, wenn eine Wurst beim Kochen geplatzt war. Es wurden Wurstkringel angefertigt oder Wurst in Gläsern oder Dosen eingekocht. Die Schweineseiten wurden in Stücke geschnitten und in einem großen Fass eingesalzen; dadurch blieb das Fleisch lange haltbar. Einige Zeit nach der Schlachtung räucherte man Schinken und Speck mehrere Wochen und konservierte sie so ebenfalls. Schlachtfest war immer ein besonderer Tag, besonders auch für die Kinder, die alles genau beobachteten.
7.4.1Der Fleischbeschauer von Werner Koch
In einem Dorf soll sich folgendes zugetragen haben: Nach dem 2. Weltkrieg durften Bauern und Landwirte (sogenannte »Selbstversorger«) ein Schwein für den Eigenbedarf schlachten. Eine Familie benutzte die Gelegenheit, ein zweites »schwarz« zu schlachten. Der Fleischbeschauer war für eine bestimmte Uhrzeit bestellt. Während man noch beim »Zerteilen« der Schweine war, traf aber schon verfrüht der Fleischbeschauer ein. Schnell versteckte man zwei Schweineseiten unter dem Bett. Als sich der Fleischbeschauer die verbliebenen Seiten betrachtete, schüttelte er bedenklich den Kopf. Die Seiten passten nicht zusammen; in der Eile hatte man die beiden rechten Teile (Seiten) versteckt. Als der Fleischbeschauer nun fragte, wie man sich so etwas erklären könne, schaltete die Frau blitzschnell. Die Sau sei schon als Ferkel nicht richtig geraten, es sei so eine Art von »Missgeburt«. Der Fleischbeschauer gab sich mit der Antwort zufrieden, und die erforderlichen Stempel wurden aufgedruckt.
7.5 Ernährung im Wandel der Zeit, oder: »Et wird gase, wot of de Desch kimmt«
Es ist Mitte September, Sonntagnachmittag. Wie in vielen Guckheimer Häusern steht auch bei uns der »Quetschekuche« auf dem Tisch. Die Sahne ist geschlagen, der Kaffee ist frisch aufgebrüht und duftet verführerisch. In den Familien mit kleinen Kindern steht der Kakao schon auf dem Tisch, sicher hat die Mutter auch schon das Nutellaglas geholt für die Kleinsten. Vielleicht stehen auch noch ein paar Pralinen zum Naschen bereit. Für uns alle ist das nichts Außergewöhnliches eher eine Selbstverständlichkeit, die zu unserem Leben dazugehört, wie die Wurst zum Frühstück, das Fleisch, wann immer wir es wollen, das frische Gemüse, Obst zu jeder Jahreszeit. Und doch ist es noch nicht lange her, da ernährte man sich von dem, was auf dem eigenen Feld und im Garten wuchs. Fleisch gab es selten und wenn, dann vom eigenen Schwein.
12. Januar 1299: Als Elisabeth von Dorndorf all' ihren beweglichen und unbeweglichen Besitz dem Kloster Gnadenthal vermachte, wurde sie dort sicher mit einem Festmahl bewirtet. Man tischte auf, was man Auserlesenes zu bieten hatte: Eiersuppe mit Safran, Pfefferkörnern und Honig, Schaffleisch mit Zwiebeln, Brathuhn mit Zwetschgen, Stockfisch mit öl und Rosinen, gesottene und gesäuerte Fische, Leipziger Senf, in Schmalz gebackene Vögel, eine Schweinskeule. Man darf getrost davon ausgehen, dass das oben beschriebene Menü eine Ausnahme für besondere Feste des Adels war. Im Mittelalter galten Festmahle mit mehr als drei Gängen als äußerst reichhaltig und pompös.
Die Unterschiede in der Ernährung zwischen Adel und Bauern waren groß. Ganz besonders, was den Fleischkonsum betraf. Jagdwild (Wildschwein, Hirsch, Reh, Bär, Wolf, Fuchs, Dachs, Hase, verschiedene Vogelarten) war von der Tafel der Bauern ausgeschlossen, da sie nicht über das Jagdregal verfügten das adelige Privileg auf Jagd. Nur in den kalten Monaten konnte geschlachtet und ein gewisser Fleischvorrat angelegt werden. Im Gegensatz zum Adel lebten die Bauern und Bürger sehr genügsam, was ihnen den Spottnamen »Kraut- und Rübenfresser« einbrachte. Ihr Küchenzettel bestimmte der Jahresablauf. Es gab Hirse- und Haferbrei, seltener Gemüse. Der Bauer ernährte sich und seine Familie von Pflanzenkost und Milchprodukten. Nur reiche Bauern hielten damals Hühner und Gänse. Aber sie hatten sie in so großer Zahl an ihre Grundherren abzuliefern, dass sie selber selten in den Genuss des Federviehs kamen. Das Brot der Bauern wurde aus Roggen- und Hafermehl gebacken. »Schoenez brot« aus Weizenmehl wurde für die Adeligen gebacken. Überhaupt war im mittelalterlichen Europa neben Körner- und Hülsenfrüchten, aus denen mancherlei Brote, Suppen, Grützen, Mus- und Breispeisen zubereitet wurden, Getreide die Grundlage der Ernährung. So wirkten sich Mangelsituationen nach Missernten bei den Angehörigen der untersten sozialen Schichten, die am stärksten auf die pflanzliche Kost angewiesen waren, viel härter aus als auf die Wohlhabenden. Auch Obst war im späten Mittelalter ein bei allen Bevölkerungsschichten weit verbreitetes Nahrungsmittel, das roh oder gekocht gegessen wurde und in vielen Varianten konserviert wurde.
Ein Keller, oft noch kein unterirdischer Bau, sondern ein separates Haus, war der Inbegriff des mittelalterlichen Vorratsraumes. Die wichtigsten mittelalterlichen Verfahren zur Konservierung frischer Lebensmittel, das Beizen, das Einsalzen, das Räuchern und das Dörren, sind zum Teil auch heute noch geläufig. Ein in allen Bevölkerungsschichten verbreitetes Massennahrungsmittel war das Kraut, das als Sauerkraut durch Einsäuern konserviert wurde. Getränke : Met, mit Honig gekochtes und vergorenes Wasser, entwickelte sich im späten Mittelalter zum Volks Getränk. Bierbrauen galt damals wie auch heute als hohe Kunst. Vergorener Fruchtsaft stand auch zur Verfügung in Bayern war damals der Birnenmost das »Nationalgetränk«. Bei uns wird aber das Wort von Johannes Boemus zugetroffen haben: »Geringes Brot, Haferbrei und Bohnen bilden die Speise der Bauern, Wasser und Molken ihren Trank«.
Unabhängig vom Standesunterschied stand der mittelalterliche Mensch im Morgengrauen auf und labte sich bei einem nicht zu üppigen Frühstück an Suppe, Brei oder Milch. Nach einigen Stunden Arbeit folgte dann das Frühmahl als erste Hauptmahlzeit. Das mäßigere Nachtmahl fand gegen Sonnenuntergang statt. An langen Sommertagen wurde vielleicht noch eine Zwischenmahlzeit eingeschoben. Gegessen wurde im Mittelalter von einem Holzteller, falls vorhanden. Suppen und Breie wurden direkt aus dem Topf mit einem Löffel oder durch Eintauchen von Brot gegessen. Ansonsten benutzte man die Finger oder ein Messer, das zum persönlichen Besitz eines jeden einzelnen gehörte und stets am Gürtel mitgetragen wurde. Getrunken wurde aus geböttcherten und gedrechselten Holzgefäßen, im späten Mittelalter kam das billige keramische Trinkgeschirr hinzu. Wenn Sie Interesse am» Völlen. und Saufen.« (Essen und Trinken wie im Mittelalter) gefunden haben, hier sind ein paar Rezepte, die allerdings schon unserem heutigen Geschmack und unseren heutigen Möglichkeiten angepasst wurden: