09 Die Freilichbühne

700 Jahre Guckheim

Oberammergau im Westerwald

Die Aufführungen der Freilichtbühne Guckheim 1948-1952

von Barbara Krekel
5.1	Prolog

In den Wintermonaten der Jahre 1946 und 1947 wurden in »Dillmanns« Theaterstücke unter der Leitung von Rudolf Müller aufgeführt. Sie bestanden jeweils aus einem ernsten Stück ( mit 2 oder 3 Akten ) und einem sich daran anschließenden Lust Akt. Dieser war bei den Schauspielern und dem Publikum besonders beliebt. Gern erinnert man sich noch in Guckheim an die Stücke: »Die Stunde für 2,20 Mark« und »Der Wilddieb« mit Walter Kuhl sowie »Eine Mutter verzeiht alles« mit Gertrud Koch.
Als man dann an Fronleichnam 1947 beschloss keine neue Kapelle auf dem Rothenberg zu bauen, wusste man, dass dafür viel Geld von Guckheimern aufgebracht werden musste. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Man dachte an die erfolgreichen Theateraufführungen im Winter und spann diesen Faden weiter. Daraus entwickelte sich dann die Idee mit der Freilichtbühne im Remel. Pfarrer Pascher war ganz angetan von dem Plan und beauftragte seinen Kaplan Brandt, den Guckheimern bei der Durchführung zu helfen. Später übernahm die Aufgabe dann Kaplan Krimmelbein.
Doch lassen wir doch einen Zeitzeugen von dieser Zeit berichten. Karl Jung, ein Mann der ersten Stunde im Kapellenverein, und ein besonders guter Kenner der »Szene« im Remel, berichtet in der Festschrift »Mit Gott« von dieser für Guckheim so wichtigen und schönen Zeit:
5.1.2  Die Freilichtspiele
van Karl Jung

In den Sommermonaten der Jahre 1948 - 1952 kamen in dem Steinbruchgelände »Remel« folgende Freilichtspiele zur Aufführung:
Es war eine schöne Zeit, vielleicht die schönste, die Guckheim erlebt hat. Eine Zeit, an die wir heute noch gerne zurückdenken. Jeder Spielsonntag war ein Fest für unsere Gemeinde. Was war der Grund, dass wir Jahr für Jahr, trotz der damit verbundenen Opfer, diese Spiele aufführten? In erster Linie wollten wir auf diese Weise die Finanzierung des Kapellen Neubaus auf dem Rothenberg sicherstellen. Außerdem haben wir mit diesen Spielen unsere Besucher aus nah und fern erfreut, und wir selbst hatten an den Spielen Gefallen gefunden.

In jedem Jahr fanden sich immer wieder 100 - 120 Einwohner gerne bereit, an den Spielen teilzunehmen. Jung und Alt stellten sich freiwillig in den Dienst der guten Sache und waren irgendwie vorn Spielfieber gepackt.
Es war eine Leistung für unser Dorf, auf die wir stolz sein konnten. Zu Beginn eines jeden Jahres begannen die Vorbereitungen für die kommende Spielzeit. Nachdem die Rollen verteilt waren, trafen sich die Spieler allwöchentlich 2 bis 3rnal in der Gastwirtschaft und in den letzten Wochen auf der Freilichtbühne, um die Spiele einzuproben.

Unser Spielleiter, Kaplan Brandt, gab sich viel Mühe, die Spieler in die Geheimnisse des Theaterspielens einzuweihen. Später setzte Kaplan Krimmelbein diese Arbeit fort. Es musste in diesen Zeiten viel gelernt werden, doch es gab auch an den Probeabenden manche heitere Szene. Viele Stunden organisatorischer Arbeit waren in diesen Monaten zu leisten, die im einzelnen gar nicht mehr alle erinnerlich sind.

Die Hauptarbeit bereitete uns alljährlich der Bühnenbau. Wir hatten jedoch in Herrn Anton Schardt (Lenke Anton) aus Frickhofen, einen Theaterfachmann gewonnen, der alle Schwierigkeiten meisterte. Man kann wohl sagen, ohne Herrn Schardt waren unsere Spiele undenkbar gewesen. Ungezählte Stunden haben die Spieler und Einwohner beim Bühnenbau Frondienste geleistet. Es war ganz selbstverständlich, dass jeder im Dorf, der sich eine Stunde freimachen konnte, in den »Remel« ging, um an den Arbeiten mitzuhelfen. Zu Beginn der Spielzeit war es dann alljährlich geschafft. Die Bühne war fertig und bot mit ihren schmucken Bauten, den Häuschen und Anlagen in dem frischen Grün der Natur ein sehenswertes Bild.

Die Kostüme für die einzelnen Spielzeiten erhielten wir von einer Firma in Frankfurt/Main ausgeliehen und mussten sie dort jeweils abholen. Im ersten Jahr wurden unsere Leute von der deutschen Grenzpolizei beim Grenzübergang zwischen der französischen und amerikanischen Zone in Berzhahn (!) scharf unter die Lupe genommen. Die mitgeführten Naturalien (ohne die ging es damals nicht) wurden beschlagnahmt, und wir mussten eine Strafe von 450,-- RM wegen unerlaubten Grenzübertrittes zahlen.

In den Wochen vor Beginn der einzelnen Spielzeiten wurde unser Freilichttheater durch Presse und Plakate im ganzen Westerwald angekündigt. Außerdem wurden von unseren Spielern verschiedene »Propagandafahrten« im Ober- und Unterwesterwald durchgeführt.
An den Spielsonntagen herrschte in unserem Dorf reger Betrieb. Aus allen Richtungen kamen die Besucher zu Fuß, mit Fahrrädern, mit Personen- und Lastkraftwagen und zogen hinauf zur Freilichtbühne. Währenddessen nahmen die Theaterspieler bei der Gastwirtschaft Kloft Aufstellung. Letzte Instruktionen von Kaplan Brandt bzw. Kaplan Krimmelbein und auch von Herrn Schardt wurden an die Spieler gegeben. Und dann setzte sich der farbenfrohe Zug, angeführt von der Feuerwehrkapelle Meudt, bzw. von der Musikkapelle Fasel aus Guckheim, mit einem schneidigen Marsch in Bewegung. Hinter der Musikkapelle folgten die berittenen Spieler und daran anschließend die übrigen Spieler und »das Volk«. Männer, Frauen, Kinder und Greise (die älteste Mitspielerin, Frau Klara Hölzgen, war 84 Jahre alt) in ihren bunten Kostümen und Trachten, marschierten in Richtung Freilichtbühne. Hier hatten sich inzwischen, sofern das Wetter gut war, zahlreiche Besucher eingefunden.
Nach einer kurzen Begrüßung durch unseren Spielleiter begannen die Spiele. Jeder Mitwirkende, egal ob Hauptdarsteller oder Statist, setzte dann sein ganzes Theaterlichtes können ein.
Die Spiele lösten Begeisterung und Zustimmung bei den Zuschauern aus. Die einzelnen Szenen wurden von den Besuchern mit Beifall aufgenommen und wahre Lachsalven begleiteten das Theaterliche Geschehen.
Unser Hochwürdigster Herr Bischof Dirichs beehrte uns am zweiten Spielsonntag mit seinem Besuch und war sichtlich erfreut und beeindruckt von der spielerischen Leistung.
Unvergessen blieben für uns die Szenen auf der Klappermühle, vom Hommerschmiedshof, von Hämmerleins Garten und vom Böllerschießen beim Empfang des Kurfürsten. Mit besonderer Anteilnahme wurde das Schicksal der »Harebouwe« (Alfred Kloft und Bernhard Jung) verfolgt, doch auch der Humor kam in diesem Spiel voll auf seine Kosten.
Nichtweniger wurden die Lachmuskeln der Zuschauern im folgenden Jahr beim »Schinnerhannes« (Josef Kögler) in Tätigkeit gesetzt. Es dürfte Zuviel werden, alle »Schinnerhannesstreiche« hier aufzuführen, doch ist uns eine Szene in besonders angenehmer Erinnerung geblieben: »Die Stiefelschlacht«. Hier blieb vor Lachen kein Auge trocken.

Im dritten Jahr führten wir das Spiel: »Die Jungfrau von Orleans« von Friedrich Schiller auf. Dieses Werk setzte hohes Theaterlichtes Können voraus. Doch unsere Aufführungen waren sehr gut und konnten jeder Kritik standhalten. Vor allem mochten wir die Leistungen der Hauptdarstellerin (Elfriede Hill, heute Kuhl) anerkennen und würdigen, ohne jedoch die Leistungen der anderen Spieler herabzumindern.

Im Jahre 1951 haben wir dann die Passion aufgeführt. Es war ein großes Risiko, die Leidensgeschichte des Herrn auf einer Freilichtbühne zu zeigen. Aber, war es nicht ein großes Erlebnis für unsere Spieler, für unsere Gemeinde und nicht zuletzt für unsere Besucher, die Passion mitzuerleben? Während bei den übrigen Spielen der Beifall aufbrauste, herrschte bei diesem Spiel feierliche Stille. Das Geschehen auf der Bühne wurde aufmerksam verfolgt, und jeder, ob Spieler oder Besucher, war von der feierlichen Handlung ergriffen. Der Christusdarsteller, Alfred Kohlenbeck, (er verstarb übrigens am Karfreitag 1977) der immer im Mittelpunkt des Geschehens stand, vollbrachte eine beachtliche Leistung. Mit letzter Hingabe haben alle Darsteller die biblischen Gestalten wirklichkeitsnahe verkörpert. Das Passionsspiel war für uns in spielerischer Hinsicht ein großer Erfolg, während die Erwartungen bezüglich der Einnahmen infolge der schlechten Witterung nicht ganz erfüllt wurden.

Im Sommer 1952 führten wir nochmals ein Werk von Pfarrer Wilhelm Reuter auf: »Dat Hunsrecker Mädche«. Hier feierte der derbe Westerwalder Humor wieder wahre Triumpfe. Wie bei den »Harebouwe« und dem »Schinnerhannes« wurde auch dieses Theaterstück in heimischer Mundart gespielt.
Es war für uns die letzte Spielzeit. Schade! Aber nach fünf Spieljahren war es selbstverständlich, dass alle einmal ausspannen wollten.
Unsere Aufgabe war erfüllt. Wir können heute feststellen: »Ohne die Freilichtbühne hätten wir die Kapelle auf dem Rothenberg nicht bauen können!« Gewiss, die Gesamteinnahmen, wovon die Hälfte für die Unkosten verbraucht wurden, waren für diesen Aufwand nicht allzu hoch, doch haben wir mit diesen Spielen auch eine kulturelle Mission erfüllt.
5.1.3 Anton Schardt (Lenke Anton)

Der »große« Mann im Hintergrund, der, wie Karl Jung schreibt, die Spiele in Guckheim erst möglich machte, war aus Frickhofen.
Am 19.4.1887 in Frickhofen geboren, ging er als junger Mann, wie so viele aus dem Westerwald, »in'd Land« und zwar bis nach Schleswig-Holstein und verkaufte Tonwaren. Er hatte sich auf die braungebrannten Töpfe spezialisiert, die man sogar auf die Feuerstelle stellen konnte, ohne dass sie zerbrachen. Später, als er verheiratet war, arbeitete er im Steinbruch in Wilsenroth.
In Frickhofen wurde 1924 - 1928 sehr erfolgreich Theater gespielt, und er erwarb sich dabei schon einen guten Namen. Er spielte regelmäßig mit Graf Walderdorff und Pfarrer Pascher Karten und fand so den Weg nach Guckheim in den »Remel«. Und diesen Weg ging er zu jeder Probe, zu jedem Auftritt, zu Fuß, manchmal fuhr er auch mit dem Fahrrad, zurück wurde er oft von Reinhold Jung mit dem Motorrad von Richard Sehner gefahren. Er hatte sechs Kinder, denen er, wie seine Tochter heute noch begeistert erzählt, ein guter Vater war. Einer seiner Sohne (Alois) wurde später Programmdirektor beim ZDF. Die Freilichtspiele in Guckheim waren der ganze Stolz des Lenke Anton, er starb im November 1954 an Krebs.
5.2	Der erste Akt: » Die Harebouwe«
Historisches Heimatspiel in fünf Akten von Wilhelm Reuter. Spielleitung: Karl Brandt, Bühnenbild: Anton Schardt Musik: Kapelle Fasel, Guckheim; Kapelle Engels, Meudt.
Die Vorbereitungen zu den Aufführung im Sommer begannen schon im Winter mit der Einteilung der Rollen. Dann begannen die Proben in » Wellems« oder in »Dillmanns«. Den Akteuren fiel es nicht leicht, den Text im Dialekt zu lesen. »Wenn man es lesen konnte, konnte man es auch schon auswendig«, so erzählen sie noch heute.
Bei den »Harebouwe« übernahm Kaplan Brandt die Spielleitung. Er war ein Theatermann mit Leib und Seele, und er gab sich alle Mühe, aus uns Guckheimern gestandene Schauspieler zu machen.
Wie schon erwähnt, gab es bei den Proben manche heitere Szene. Ewald Mille spielte zum Beispiel den »Schousterhannes« und Josef Kögler den »Schneirerpitter«. Da d er Josef aber im richtigen Leben der »Schouster« war, verbabbelte sich der Ewald ganz oft bei den Proben und redete ihn mit »Schouster« an, sehr zum Missfallen von Kaplan Brandt aber zur Freude der anderen Mitspieler.
An einem der Spieltage im Sommer waren dann auffallend viele Dorndorfer als Zuschauer auf den Tribünen. Bernhard Jung war einer der beiden »Harebouwe« und immer zu einem Scherz aufgelegt. Den »Harebouwe« wurde zur Last gelegt, zwei Pferde gestohlen zu haben. Bernhards Text lautete: »Wir haben die zwei Pferde nicht gestohlen«. Als er die vielen Dorndorfer im Publikum sah (man nennt sie ja Dorndorfer Esel) konnte er es sich nicht verkneifen, zu sagen: »Wir haben die Esel nicht gestohlen«.

»Det Bottermarie« stammte aus Weltersburg. Als dort Kirmes war, ging sie morgens dorthin und brachte mittags Krümelkuchen mit zur Aufführung. »Sindersch Karl«, Karl Jung, ihr Nachbar, bekam ein großes Stück ab. Während er noch genüsslich kaute, kam sein Einsatz. Er musste auf die Bühne und hatte noch den Mund voll Krümelkuchen. Verzweifelt versucht er, den trockenen Kuchen runterzuschlucken, aber die Mitspieler mussten leider merken, dass es ihm nicht ganz gelungen war.
Der Pörtner Ewald stammt aus Weroth und war ebenfalls ein leidenschaftlicher Theaterspieler. Im Spiel musste er sagen:
»Er, dou dich of un verschleng' mich. Se douret net, da gien ich heim«, in seinem Platt hieß es aber: »Da gien ich hamm!« Die Aussprache amüsierte die Guckheimer natürlich besonders und später, wenn er abends aus der Wirtschaft nach Hause ging, riefen sie ihm nach: »Jetz giere hamm!«
5.3	Der zweite Akt: »Der Schinderhannes«

Überblick in Stichworten:

1. Akt: In der Wasenschenke:
Räuberchor, Flucht des Schinderhannes aus dem Turm. Allerhand Gäste in der Wasenschenke. Schinderhannes als Hausierer verkleidet. Gendarme such den Schinderhannes. Ein richtiges Schinderhannes Stückchen. Hannes hält großen Rat. Lompelies und Millerfranz schwören Rache. Die Polizei an der falschen Adresse. Besuch bei Peter Riegel. Blutiger Ausgang.
2.	Akt: Allerhand Schinderhannes-Stückchen
Die Regierung ist machtlos. Der Wasenwirt hat Kummer. Krawall bei der Schinderhannes Bande. Hochzeit in der Wasenschenke. Der Wasenwirt in Eisen. Einbruch in Hattenbach. Hannes hilft der Katherin aus der Not. Gendarme erhalten Gefängnisstrafen. 500 Gulden Fangprämie auf den Kopf des Schinderhannes ausgesetzt. Hannes als Kavalier. Die Stiefelschlacht bei Waldböckelheim. Auf dem Kreuznacher Markt. Sergeant Schmalz erstattet Report.
3.	Akt: Residenz auf Burg Kallen/els
Ängstliche Polizei. Lompelies, Millerfranz und Butla schmieden ein Komplott. Schinderhamals als König om Soonwald. Simon Seligmann muss zahlen. Der Rachplan ist fertig. Kirmes auf Burg Kallenfels. Hoher Besuch. Der Todestrank. Die Macht des Schinderhannes ist gebrochen.
4.	Akt: Felsenhohle im Wispertal
Schinderhannes ist geknickt. Der Weizen für sein Handwerk blüht nicht mehr. Meineidfinger. Julchen wieder beim Schinderhannes. Von der Menschheit verstoßen. Gefecht mit der Polizei.
5.	Akt: Das Ende
Zurück in ein anderes Leben. Schinderhannes als Rekrut bei Jakob Schweikard. Verraten vom Millerfranz. Schinderhannes wird verhaftet. Blutige Rache. Oberamtmann Fölix brüstet sich. Vorbereitungen im Sitzungssaal. Schinderhannes mit seiner Bande in Ketten. Verlesung der Anklageschrift. Urteilverkündung. Das Volk strömt herzu. Auf dem Richtplatz. Das Urteil wird vollstreckt. Begnadigung, aber zu spät.
Schinderhanneslied:

Hui, mir Räjwer lewe fein,
Brut genug en klor de Wein;
Kimmt die Schandarmerie doher,
weil se ach gelore wär.
Moch jo rieche mol um Broare,
Flott die Flinte fresch geloare,
Merks: Johannes durch den Wald!

Modder mach die Läre zou,
schloaf mei Kend in sejsser Rouh.
Vater, gout die Kass verwoahr,
un drei Mädche ganz un goar.
Horch, wer kloppt? Ich hon's vernomme,
wem do wohl die Räjwer komme?
Merks: Johannes durch den Wald!

Waldverborje, weltbekannt,
Schinderhannes spukt im Land.
Bauer, schlejß die Schauer gout.
Wehe dir, du reicher Jud'!
Welste wohl noch Kaljes mache?
Moch die Welt in Stecke krache.
Merks: Johannes durch den Wald!

Lustig, lustig, of zurn Danz!
Kälwerhäjt und Ochseschwanz,
äWeiwerkepp und Mannerdärm,
Läwe, Liebe, Lost un Lä.rm!
Fort met eure Eisetrallje!
Wießt kei Holz mieh fir en Galje?
Merks: Johannes durch den Wald!

Hui, mir Räjwer läwe fein,
Brut genug un klor de Wein;
Kimmt der Schandarmerie do her,
well se ach geloare wär.
Moch jo riche mol um Broare.
Flott die Flinte fresch geloare.
Merks: Johannes durch den Wald.

Wilhelm Reuter
(Abschrift aus dem Originalprogrammheft)

Wie in jedem Jahr, musste auch beim »Schinnerhannes« viel Arbeit in das Bühnenbild gesteckt werden. Das Gasthaus zum » Woßemwirt«, der Turm, in dem sich das Verließ befand, die Ruine Kallenfels, die Richtstätte und einige andere Häuser wurden in liebe- und mühevoller Kleinarbeit errichtet.

An einem heißen Sommertag gingen Reinhold Jung, der damals noch ein junger Bub war und der »Schinnerhannes«, Josef Kögler, wie so viele andere auch in den »Remel« und arbeiteten mehrere Stunden in brütender Hitze. Nach getaner Arbeit ließen sie sich bei »Wellems« ein Bier schmecken. Leider blieb es aber nicht bei einem, und als es schon dunkel wurde, schwankten die beiden nach Hause. Reinhold, der noch nicht so viel Erfahrung mit dem Alkohol hatte, ist heute noch Alois Koch dankbar, der ihm den rechten Weg nach Hause zeigte.
An eine Szene aus dem »Schinnerhannes« erinnern sich die Leute heute noch besonders gern, an die »Stiewelschlacht«. Früher war es üblich, dass die Bauern ihr Geld im Stiefel aufbewahrten. Wenn sie auf den Markt gingen, versteckten sie es also dort und glaubten, es besonders sicher aufbewahrt zu haben. Aber natürlich kannte der »Hannes« diesen Trick und befahl den verdutzten Bauern, ihre Stiefel auszuziehen:
»Ejsch zehle bes 5, wer da de Stiewel net aus hot, de krejt en Schufl Schrot in de Lompe. Achtung ejsch zehle noch emol bes 5, un wer se da net werer uu hot, krejt noch en Ladung.«
Langsam und effektvoll zählte er dann bis fünf und die Bauern suchten verzweifelt nach ihren Stiefeln. Zuletzt war jeder froh, wenn er überhaupt einen fand und das Ganze endete in einem absoluten Chaos, das die Zuschauer sehr amüsierte.

5.4	Der dritte Akt: »Die Jungfrau von Orleans«
Das Schauspiel »Jungfrau von Orleans« war sicher ein Höhepunkt der Freilichtspiele im Remel.
Das Bühnenbild war besonders aufwendig. Besonders gut gelungen war die Kathedrale, ein imposanter Bau. Alfred Kloft übernahm die aufwendige Bemalung,
besonders die Kirchenfenster waren hervorragend gelungen. An einem Sonntag bat einer der Besucher, doch mal in die Kirche gehen zu dürfen. Er war wie viele Besucher einfach überwältigt von dem Bau. Natürlich waren alle Bühnenbauten sogenannte Potemkinsche Dörfer, also nur Fassaden.

Diese Aufführung war die erste, die auf Hochdeutsch gespielt wurde und verlangte von den Akteuren, die ja schon fast alle Bühnenerfahrung hatten, wirklich alles ab. Pfarrer Pascher war von Anfang an sehr skeptisch, ob die Aufführung gelingen würde. Aber er musste einsehen, dass er sich getäuscht hatte und entschuldigte sich sogar dafür bei Elfriede Hill, die als Jungfrau von Orleans eine hervorragende Partie spielte.

Aber auch dieses tragische Stück ging nicht ohne kleine Witzeleien ab. überall im Bühnenbild waren die Souffleure versteckt. Unter ihnen tat sich besonders Rudolf Müller hervor. Er verfolgte immer genau den Text und konnte zu jeder Zeit das passende Stichwort geben. Elfriede Hill und Maria Hofmann, beides junge Mädchen, spielten eine besonders tragische Szene in ergreifender Art und Weise. Dort, wo immer Rudolf Müller saß, hockte aber an diesem Sonntag überraschend der neue Junglehrer, Herr Hunsänger. Ganz perplex starrten die beiden auf den jungen Mann, der auch noch anfing, Possen zu reißen. Verzweifelt versuchten die beiden, sich das Lachen zu verbeißen, was aber natürlich nicht gelang. Auf der Bühne zu lachen galt aber als »Todsünde«, und als die zwei jungen Mädchen nach der Szene hinter die Bühne kamen, wurden sie beschimpft:
»Was lacht ihr denn so blöd, nächsten Sonntag kommt kein Mensch mehr hier hin, das kostet uns mindestens 300 Mark!«
5.5	Der vierte Akt: »Das Passionsspiel«

Bericht des Nassauer Boten vom 5. Juli 1951:

Oberammergau im Westerwald

Über 600 Besucher sahen am Sonntag die Passionsspiele in Guckheim
Die annähend 500 Bewohner des Westerwalddörfchens Guckheim atmeten am Sonntag auf. Sie waren in den vergangenen Wochen enttäuscht worden von der Witterung, die sich bisher gegen die Freilichtaufführung der Passionsspiele verschworen zu haben schien. Am Sonntag lag das Freilichtbühnengelände zum ersten Male im hellen Sonnenschein.

Der Strom der Besucher ergießt sich hinauf zum »Remel«, jenem ideal gelegenen Freilichtbühnengelände der Theatergruppe Guckheim. Der Besucher sieht sich in einem Halbrund von überdachten Bankreihen einem wundervollen Panorama südlicher Bauten gegenüber. Jerusalem, der Ort der Handlung, hat hier durch kunstvoll gemalte und recht massive Holzkonstruktionen, wenn auch nur in kleinen und bescheidenen Zügen, eine Teildarstellung erfahren. Die halbkreisförmige Anordnung beginnt mit der Leidensstraße. Mächtig schliefst sich der, auf einer breiten Treppe zu erreichende, Pilatusbau an. Im Vordergrund wieder der Abendmahlsaal, und über allem der Tempel von Jerusalem. Es folgen u.a. noch die Gruft, die Hinrichtungsstätte und das Haus von Betanien.
Schon allein die hier verrichteten Bühnen arbeiten, die ausschließlich freiwillig geleistet wurden, verdienen größte Würdigung. Der Regisseur der Guckheimer Passionsspiele, Herr Anton Schardt aus Frickhofen, nahm die Bearbeitung in der vorliegenden Fassung vor etwa 25 Jahren vor, sie konnte bisher in Frickhofen, Weroth und Niederbrechen erfolgreich in Sälen aufgeführt werden. Annähernd 150 Mitwirkende sind erforderlich, um in etwa 3,5 Stunden die Leidensgeschichte Jesu Christi in ihren Einzelheiten darzustellen.

Was große Maler in Bildern auszudrücken wussten, wird hier, wenn auch nicht in dem großen Rahmen der Oberammergauer Festspiele, so doch in einer Lebendigkeit demonstriert, die den Besucher fesselt und ergreift. Die Theatergruppe Guckheim hat sich alle Mühe gegeben, um das Passionsspiel wirklichkeitsgetreu zu gestalten. Sie hat auch die technischen Schwierigkeiten in einer ausgezeichneten Form zu lösen verstanden.
Christusdarsteller Alfred Kohlenbeck verleiht der Figur des Erlösers eindrucksvolle Gestaltung. Die Wiedergabe der Kreuzigung und Auferstehung stellt eine besondere schauspielerische Leistung dar. Auch die verschiedenen Charaktere der Jünger finden in ihren Darstellern eine sehr gute Wiedergabe, wobei vor allem die Judasgestalt hervorragt. Bestimmt und würdig werden Pilatus und Herodes, machthungrig und rachsüchtig die Pharisäer, Priester und Hohenpriester verkörpert.

Die weiblichen Rollen in dem Passionsspiel sind mit Laienspielerinnen, die bereits in den vergangenen Jahren in den Freilichtaufführungen »Die Harebouwe«, »Schinnerhannes« und »Jungfrau von Orleans« mitwirkten, besetzt. Auch die in den zahlreichen Nebenrollen mitwirkenden Personen tragen mit ihrem Spiel nicht unwesentlich zum Gelingen der Aufführung bei.

Gesanglich werden die Guckheimer Passionsspiele von einem Jugendchor und de Männergesangverein Weltersburg umrahmt.

Über 600 Besucher hatten am Sonntag Gelegenheit, die Passionsspiele auf dem romantisch gelegenen Freilichtbühnengelände zu bewundern. Sie standen im Banne der ergreifenden Darstellung.
5.6	Der fünfte Akt: »Dat Hunsrecker Mädche«

Leider ist von diesem Stück nicht mehr viel erhalten, weder schriftlich noch als Erinnerung.
Vor dem Spiel führte die weibliche Guckheimer Jugend unter der Leitung der damaligen Lehrerin, Fräulein Merten, ein paar Volkstänze auf. Sie trugen auch Gedichte vor, die den Beifall der Zuschauer fanden. Wieder spielten fast einhundert Personen in farbenfrohen, historischen Kostümen mit.

Das Stück spielte im Westerwald in den Jahren 1813/14. Es schilderte die Erlebnisse eines durch unglückliche Familienverhältnisse aus seiner Heimat vertriebenen Mädchens, wieder hervorragend gespielt von Elfriede Hill. Es handelte sich um eine Komödie, die in Westerwalder Mundart vorgetragen wurde. Nach zwei Jahren
»großen Theaters« kam man wieder zurück zum feinsinnigen Westerwald der Humor des großen Dichters Wilhelm Reuter.

Der Erlös wurde für die Dach Schieferung der neuen Kapelle auf dem Rothenberg verwandt. Die Kapelle war zwischenzeitlich eingewiehen worden, und es fanden schon Gottesdienste darin statt.
6 Epilog

Die Freilichtspiele hatten ihren Zweck, Geld für den Kapellenbau einzuspielen, erreicht. Aber nicht nur wegen der Einnahmen waren die Spiele für Guckheim ein voller Erfolg. Das ganze Dorf arbeitete Fünf lange Jahre Hand in Hand für ein Ziel. Das bewirkte eine nie gekannte Solidarität unter den Bürgern. Noch heute erzählen Leute aus anderen Westerwalder Dörfern ehrfurchtsvoll von der tollen Leistung der Guckheimer in der damaligen Zeit.
Manch einer der Schauspieler wird voller Wehmut an die schone Zeit zurückdenken und mit einem stillen Seufzer die verwaiste Spielstätte betrachten, die heute, nach 50 Jahren, von der Natur zurückerobert wurde. Lassen wir Johanna, die Jungfrau von Orleans das Schlusswort sprechen:
Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften,
ihr traulich stillen Taler, lebet wohl.
Johanna wird nun nicht mehr auf euch wandeln,
Johanna sagt euch ewig Lebewohl.
Ihr Wiesen, die ich wasserte, ihr Bäume,
die ich gepflanzet, grünet fröhlich fort!
Lebt wohl, ihr Grotten und ihr kühlen Brunnen!
Du Echo, holde Stimme dieses Tals,
die oft mir Antwort gab au£ meine Lieder –
Johanna geht, und nimmer kehrt sie wieder!